Automatisierte Demontage von Elektroschrott: Erste Meilensteine im Forschungsprojekt
Jährlich fallen weltweit Millionen Tonnen Elektroschrott an. Nur ein Bruchteil davon wird recycelt oder wiederaufgearbeitet. Im Februar 2023 startete am Fraunhofer IFF mit „iDEAR“ ein Forschungsprojekt, das zum Ziel hat, die Demontage von Elektroschrott zu automatisieren. Damit sollen wertvolle Ressourcen leichter wiederverwendbar und Stoffkreisläufe geschlossen werden. Durch die Automatisierung können Demontageprozesse in Zeiten des Fachkräftemangels besser skaliert werden. Jetzt liegen erste vielversprechende Ergebnisse vor.
Mit dem Forschungsprojekt iDEAR werden konkrete Methoden und technische Fertigkeiten entwickelt, um die Demontage von Elektroaltgeräten durch Roboter zu ermöglichen. Die größte Herausforderung stellt dabei die hohe Varianz der Altgeräte bzgl. Modelltypen sowie aufgrund unterschiedlicher Zustände nach Nutzungszyklen dar. Klassische automatisierte Abläufe sind dann effizient, wenn diese über einen längeren Zeitraum repetitiv ausgeführt werden können und Bauteile und Baugruppen bekannt und in einem definierten Zustand sind. Für die Automation der Demontage von Altgeräten sind also neue Ansätze erforderlich: Jedes Gerät muss individuell befundet werden. Abhängig vom Zustand müssen Demontageprozesse geplant werden. Die Robotik muss in der Lage sein, komplexe Handlungen z.T. zeitgleich auszuführen. Bisher war diese Aufgabe nur durch menschliche Erfahrung und Kreativität zu lösen. Manuelle Prozesse sind jedoch oft ineffizient und teuer.
Angesichts steigender Rohstoffpreise sowie sinkender Verfügbarkeit kritischer Rohstoffe (Critical Raw Materials) wird es für produzierende Unternehmen immer interessanter, auch Wiederverwertungsmaßnahmen wie Recycling und Remanufacturing ihrer Produkte in ihre Prozesse zu integrieren. Gesetzliche Regelungen wie z.B. das Recht auf Reparatur unterstreichen diesen Trend mit entsprechenden Vorgaben. Automatisierungslösungen wie die robotergeführte Demontage sind dabei eine Möglichkeit, wertvolle Rohstoffe effizient und kostengünstig zurück zu gewinnen und gleichzeitig dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken.
Für spezifische Produkte bestehen in der Industrie erste Lösungen für die automatisierte Demontage. Diese sind allerdings hochspezialisiert und nicht auf breitere Produktpaletten anwendbar. Für flexibel gestaltete Automatisierungslösungen stellt insbesondere der hohe Engineeringaufwand eine Herausforderung dar. Die Reduzierung des Engineeringaufwands durch die durchgängige Nutzung von Datenmodellen sowie die Entwicklung neuer KI-basierter Methoden und Robotik-Skills sind weitere Forschungsschwerpunkte im Projekt iDEAR.
„Im Forschungsprojekt iDEAR streben wir eine datengetriebene Methodik an, damit möglichst verschiedene Produkte mit geringem Engineeringaufwand demontiert werden können“, sagt. Dr. José Saenz, Projektleiter am Fraunhofer IFF.
Die Forschenden haben sich im Projekt zunächst auf die Demontage von PCs konzentriert. Diese weisen einen hohen Materialwert im Verhältnis zur Produktgröße auf und stellen einen signifikanten Anteil des Elektroschrotts dar. Am Beispielprodukt werden verschiedene technologische Teilentwicklungen erprobt und weiter verfeinert.
Erster Schritt dabei ist die individuelle Befundung des Gerätes. Wichtige Verbindungselemente wie Schrauben, Nieten oder auch der Zustand des Produktes werden Kamerabasiert erfasst und mittels KI bewertet. Im Ergebnis dieser Befundung werden Positionen einzelner Schrauben und Bauteile sowie deren Zustände digital erfasst und produktindividuell abgespeichert.
Aus den Daten der Befundung sowie verfügbaren Produktinformationen (Manuals, Erfahrungen vorheriger Demontagen) wird die Demontagesequenz zur Beschreibung der Abfolge der notwendigen Demontageschritte sowie der dafür benötigten Werkzeuge erzeugt. Diese Sequenz wird in eine Handlungsabfolge für die Robotik überführt. Darin werden einzelne entwickelte Robotik-Skills (z.B. „Schraube lösen“, „Deckel entnehmen“) verkettet. Die automatische Ausführung umfasst dabei jeweils den kompletten Teilprozess von der Aufnahme des für die Demontage nötigen Werkzeugs über das Lösen der Schrauben bis zur Ablage des entfernten Bauteils.
Für komplexeres roboterbasiertes Handling, wie z.B. die Entnahme des Mainboards aus dem Rechner, wurden neue, adaptive Lösungsstrategien entwickelt. Hier werden u.a. Reinforcement Learning, und Imitation-Learning-Ansätze für die Ausführung von komplexen Roboterhandlungen erprobt.
Eine solche Lösungsstrategie evaluiert in jedem Schritt den aktuellen Zustand und versucht die optimale Aktion daraus abzuleiten, zum Beispiel durch Anpassen der Roboterbewegung. So können ganze Bauteile wiederverwendet oder die weitere Demontage bis zum einzelnen Rohstoff vorgenommen werden.
Je nach angestrebter Demontagetiefe ergibt sich ein iterativer Prozess aus Befundung, Sequenzanpassung und roboterbasierter Demontage. Um zu bestimmen, welche Demontagetiefe wirtschaftlich und ökologisch vorteilhaft ist, entwickeln die IFF-Forscher neue Bewertungsmethoden, in denen z.B. aktuelle Preise für Sekundärrohstoffe oder auch die Bewertung des Produkts auf Basis der Befundung Berücksichtigung finden.
Um auf die produktbezogenen Daten durchgängig und konsistent in allen Teilprozessen zugreifen zu können, wird eine Daten-Plattform aufgebaut, mit der Produkt- und Anlagenbezogene Daten in Form standardisierter digitaler Zwillinge (sog. Verwaltungsschalen) erfasst und verfügbar gemacht werden. Dieser „Demontage-Hub“ stellt die Wissensbasis dar, die es ermöglicht, während des Demontageprozesses gesammelte Daten weiter zu verwenden und auch Erfahrungswissen zur Demontage von Produkttypen mit einzubeziehen. So können auf Basis abgeschlossener Demontagen weitere Prozesse mit gleichen Produkttypen optimiert werden. Die entwickelten Methoden sollen auch auf andere Geräte und Kontexte übertragbar sein. Der „Demontage-Hub“ kann als Datenbasis für individuelle automatisierte Demontageprozesse dienen.
Für die Erprobung und Demonstration der entwickelten Methoden und Technologien wurden technische Versuchsaufbauten und Demonstratoren entwickelt, mit denen die Befundung und Demontage von Produkten sowie die datentechnische Verkettung dieser Prozesse aktuell getestet und weiterentwickelt werden.
„Wir haben zum Beispiel die erlernten Lösungsstrategien in eine Industrierobotersteuerung integriert. Eingesetzt werden dabei Methoden des Maschinellen Lernens für Teilaufgaben, die nur schwer mit analytischen Methoden umzusetzen sind“, erklärt Saenz das Vorgehen.
Die Versuche mit den Teildemonstratoren für die Identifikation und Befundung von PCs, das Öffnen des Gehäuses und die Entnahme des Mainboards aus dem Gehäuse waren erfolgreich, so dass bereits an der Entwicklung und Erprobung weitere Demontageprozesse gearbeitet wird.
Die im Projekt entwickelten Methoden und technischen Fertigkeiten sind gut auf andere Produktarten und Produktgrößen übertragbar. Neben Bereichen in denen aktuell vor allem das Recycling im Fokus steht – wie z.B. bei Weißer Ware – gibt es auch Produktarten für die die Demontage einen zentralen Prozess in der Aufbereitung und im Remanufacturing von Produkten darstellt. So z.B. für Flugzeugturbinen.
Die entwickelten iDEAR-Lösungen sollen bei entsprechender Technologiereife im realen Umfeld bei Industrieunternehmen erprobt und weiterentwickelt werden. Die Erfahrungen fließen in die weiteren Forschungen sowie den Transfer in Industrielösungen ein.
Dr. José Saenz ist zuversichtlich: „Wir können mit diesem Projekt einen wichtigen Beitrag leisten, damit in Zukunft weniger Rohstoffe verloren gehen und Elektrogeräte schneller, einfacher und kostengünstiger wiederverwendet werden.“