Forschungsprojekt ADAPT: Flexibel automatisieren mit KI-gestützter Greiflösung
In Unternehmen, die in kleinen Losgrößen und mit hoher Variantenvielfalt produzieren, stellt das automatisierte Greifen von Bauteilen aus Behältern (Bin-Picking) eine zentrale Herausforderung dar. Trotz zunehmender Automatisierung erfordern viele Bin-Picking-Szenarien noch manuelle Eingriffe, sei es beim Umgang mit Verpackungsmaterialien, bei sich verhakenden oder reflektierenden Teilen oder wenn eine vollständige Entleerung der Behälter erforderlich ist. Eine wirtschaftliche Automatisierung dieser Prozesse wird in Zeiten des demografischen Wandels und des zunehmenden Fachkräftemangels immer wichtiger. Das Forschungsprojekt "ADAPT – Adaptive Robotik für robustes Bin-Picking und präzise Maschinenbestückung" des Fraunhofer IFF setzt genau hier an. Ziel ist die Entwicklung von KI-gestützten Bin-Picking-Lösungen, die Bauteile zuverlässig erkennen, sicher greifen und präzise platzieren können – auch unter herausfordernden Bedingungen.
Das robotergestützte Greifen von Bauteilen aus Behältern, das sogenannte Bin-Picking, stellt eine Schlüsseltechnologie in der industriellen Automatisierung dar, deren zuverlässige Umsetzung nicht immer möglich ist. Die Herausforderungen sind vielfältig: Es geht um sortierte Einzelteile, teilweise geordnete Lagen oder vollkommen ungeordnete Schüttgüter, oft in Kombination mit unterschiedlichen Verpackungsmaterialien wie Folien oder Zwischenlagen aus unterschiedlichsten Materialien.
Das Fraunhofer IFF hat das Forschungsprojekt „ADAPT – Adaptive Robotik für robustes Bin-Picking und präzise Maschinenbestückung" gestartet, um genau diese Herausforderungen zu adressieren. „Der entscheidende Faktor für eine wirtschaftliche Automatisierung ist die Zuverlässigkeit des Gesamtsystems. Viele Aufgaben, die für Menschen einfach wirken, stellen für Roboter enorme Herausforderungen", erklärt Magnus Hanses, Projektleiter am Fraunhofer IFF.
Die Automatisierung von Bin-Picking-Prozessen erfordert die Überwindung mehrerer Hürden. Eine zentrale Herausforderung liegt in der zuverlässigen Handhabung von Verpackungsmaterialien. Häufig werden Behälter mit einer Plastikfolie ausgekleidet, die alle Bauteile umschließt, um diese vor Verschmutzung oder Korrosion zu schützen. Diese Folie muss erkannt, gegriffen und sicher über den Rand gestülpt werden, bevor der eigentliche Greifprozess beginnen kann. Darüber hinaus müssen auch Zwischenlagen aus Pappe oder Karton sowie Abstandshalter, die zwischen den einzelnen Lagen von Bauteilen eingefügt werden, automatisch erkannt und entfernt werden. All diese Schritte erfordern bisher in der Regel menschliches Eingreifen oder sind nur mit sehr hohem Integrationsaufwand zu automatisieren.
Eine weitere Hürde stellt die vollständige Behälterentleerung dar. Bei aktuellen Systemen können oftmals nicht alle Teile automatisiert entnommen werden, insbesondere wenn der Behälter weitestgehend geleert ist und die verbleibenden Teile in ungünstigen Positionen liegen oder schwer zugänglich sind. Dies führt dazu, dass trotz Automatisierung weiterhin Personal für die abschließende Entleerung vorgehalten werden muss. „Erst wenn der komplette Prozess ohne menschliches Eingreifen funktioniert, kann die Automatisierung ihr volles wirtschaftliches Potenzial entfalten", betont Hanses.
Darüber hinaus müssen die Teile nicht nur vereinzelt, sondern in der korrekten Orientierung gegriffen werden, um sie anschließend präzise platzieren zu können – sei es in einer Bearbeitungsmaschine, einer Montagestation oder einem anderen Prozessschritt. Je nach Anwendungsfall variieren dabei die Anforderungen an Taktzeiten und Genauigkeit erheblich.
Das ADAPT-Projekt zielt darauf ab, durch den Einsatz modernster KI-Methoden diese Herausforderungen zu adressieren. Im Fokus stehen dabei:
- Die Entwicklung robuster Bildverarbeitungsalgorithmen, die auch unter schwierigen Bedingungen zuverlässig funktionieren – etwa bei reflektierenden Oberflächen, variablen Lichtverhältnissen oder Teilverdeckungen.
- Die Erforschung adaptiver Handhabungsstrategien, die flexibel auf unterschiedliche Szenarien reagieren können – vom Umgang mit Verpackungsmaterialien über die Handhabung schwer zugänglicher Teile bis hin zur optimalen Behälterentleerung.
- Die einfache Integration der entwickelten Technologien in bestehende Produktionsumgebungen, um eine breite Anwendbarkeit bei minimalem Anpassungsaufwand zu gewährleisten.
Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Wirtschaftlichkeit der entwickelten Lösungen. „Bei der Automatisierung von Bin-Picking-Prozessen werden die Umrüstkosten oft unterschätzt. Ein System, das flexibel mit verschiedenen Bauteiltypen umgehen kann, ohne aufwendige Neuprogrammierung zu erfordern, bietet entscheidende wirtschaftliche Vorteile", erläutert Hanses.
Die Ergebnisse des ADAPT-Projekts sollen insbesondere mittelständischen Unternehmen zugutekommen, die bisher aufgrund der hohen Integrationskosten und der begrenzten Flexibilität existierender Lösungen vor einer umfassenden Automatisierung zurückschrecken. Der modulare Aufbau der angestrebten Lösung und der Fokus auf eine einfache Integration in bestehende Systeme ermöglichen eine flexible Anpassung an verschiedene Anwendungsszenarien im produzierenden Gewerbe.