Projekte und Probandenstudien zur Ermittlung biomechanischer Grenzwerte

Unsere Projekte und Studien liefern neue Grenzwerte für die sichere Mensch-Roboter-Kollaboration von morgen

Für kollaborative Robotersysteme, die Hand in Hand mit Menschen zusammenarbeiten, legt ISO/TS 15066 für die Sicherheitsbetriebsart "Leistungs- und Kraftbegrenzung" eine Reihe von biomechanischen Grenzwerten fest. Diese Grenzwerte darf der Roboter im Falle einer Kollision mit dem Menschen (Stoß oder Klemmung) nicht überschreiten. Ein Großteil der Grenzwerte aus ISO/TS 15066 sind bislang nicht experimentell bestätigt. Sie gelten daher nur unter Vorbehalt und sollen gegen neue und valide Grenzwerte ausgetauscht werden, sobald diese zur Verfügung stehen.

Seit 2012 führen wir weltweit einmalige Probandenstudien durch, aus denen neue Grenzwerte und weitere biomechanische Kenndaten für eine sichere MRK hervorgehen. Mithilfe systematisch eingestellter Stoß- und Klemmbelastungen wurden verschiedene Beanspruchungsschwellen untersucht, die vom Schmerz- bis zum Verletzungseintritt reichten. Während der Studien hat die Ethikkommission und Klinik für Unfallchirurgie der Otto-von-Guericke-Universität das Fraunhofer IFF unterstützt und begleitet. 

Studien zum Schmerzeintritt

Mit Unterstützung der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) sowie der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherungen (DGUV) hat das Fraunhofer IFF von 2014 bis 2019 drei Probandenstudien zum Schmerzeintritt durchgeführt. In den Studien wurden die Schmerzeintrittsschwellen von über 100 Probanden an 28 Körperstellen mit Stoß- und Klemmbelastungen experimentell ermittelt. Als Vorrichtungen kamen ein Stoßpendel und ein Algometer zum Einsatz.

Nach Abschluss der Schmerzeintrittsstudien hat das Fraunhofer IFF die experimentell erhobenen Daten statistisch ausgewertet und darauf neue biomechanische Grenzwerte berechnet. Derzeit engagiert sich das Fraunhofer IFF in nationale und internationale Normungsgremien, um die neu berechneten und experimentell bestätigten Grenzwerte in zukünftige Normen für sichere Roboter und Maschinen einzugliedern. 

Studien zum Verletzungseintritt

Im Zeitraum von 2014 bis 2016 hat das Fraunhofer IFF eine Probandenstudie zum Verletzungseintritt durchgeführt. Dabei erhielt es finanzielle Unterstützung von den Unternehmen Mercedes-Benz (Sindelfingen) und KUKA Roboter (Augsburg). In der Studie wurden 25 Probanden am Hand-Arm-System mit einem Stoßpendel belastet, bis die Körperstellen erste Anzeichen einer sehr leichten Verletzung (Schwellung oder leichtes Hämatom) aufwiesen. Aus den Studienergebnissen gehen erste Grenzwerte für den Verletzungseintritt hervor, die insbesondere für kooperative Robotersysteme zur Anwendung kommen können, bei denen eine physische Mensch-Roboter-Interkation nicht vorgesehen ist.

Biomechanische Kennlinien

Im Auftrag von Panasonic (Japan) hat das Fraunhofer IFF zwei Studien durchgeführt, aus denen biomechanische Kennlinien für die Entwicklung und Kalibrierung eines Test-Dummies für Kollisionsversuche mit kollaborativen Robotern hervorgingen. In den Studien wurden mehrere Probanden an verschiedene Körperstellen mit unterschiedlich intensiven Stoß- und Klemmbelastungen untersucht.

Für das Institut für Arbeitsschutz und Normung (IFA) der DGUV hat das Fraunhofer IFF eine Methode entwickelt, die aus Daten der IFF-Probandenstudien biomechanische Kennlinien berechnet. Mit der neuen Methode wurden für alle relevanten Körperstellen neue Kennlinien gewonnen, mit denen zukünftig Messgeräte für Kollisionsmessungen an kollaborativen Robotern kalibriert werden. 

Weitere Studien

Für die Kommission „Arbeitsschutz und Normung“ (KAN) hat das Fraunhofer IFF eine umfangreiche Literaturstudie durchgeführt (KAN-Studie 52), die den Kenntnisstand zu biomechanischen Grenzwerten bis 2014 systematisch analysierte. Auf den Ergebnissen ging hervor, dass der damalige Kenntnisstand nicht ausreichte, um verlässliche Grenzwerte für die Mensch-Roboter-Kollaboration festzulegen. Daraufhin hat die DGUV und BGHM ihre Förderung von Belastungsstudien mit Probanden intensiviert.

Im Auftrag des IFA hat das Fraunhofer IFF im Zeitraum von 2012 und 2014 das Bewegungsverhalten von Menschen bei Stoßbelastungen untersucht. Aus den Ergebnissen gehen wichtige Erkenntnisse für die messtechnische Beurteilung von Roboterkollisionen hervor.

Publikationen

Behrens, R.; Pliske, G.; Piatek, S.; Walcher, F.; Elkmann, N. (2023): A statistical model to predict the occurrence of blunt impact injuries on the human hand-arm system. In: Journal of biomechanics 151, S. 111517. DOI: 10.1016/j.jbiomech.2023.111517.

Behrens, R.; Pliske, G.; Umbreit, M.; Piatek, S.; Walcher, F.; Elkmann, N. (2022): A Statistical Model to Determine Biomechanical Limits for Physically Safe Interactions With Collaborative Robots. In: Front. Robot. AI 8, Artikel 667818. DOI: 10.3389/frobt.2021.667818.

Behrens, R.; Zimmermann, J. (2022): Determination of biomechanical corridors for the evaluation of mechanical hazards and estimation of stiffness parameters for future measurement devices. Berlin: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) (IFA-Report, 2022, 2). Online verfügbar unter https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/4526.

Behrens, Roland; Elkmann, Norbert (2021): A Revised Framework for Managing the Complexity of Contact Hazards in Collaborative Robotics. In: 2021 IEEE International Conference on Intelligence and Safety for Robotics, S. 252–258.

Behrens, R. (2018): Biomechanische Belastungsgrenzen für Mensch-Maschine-Interaktionen in der kollaborativen Robotik. Dissertation. TU Ilmenau.

Behrens, R.; Elkmann, N. (2014): Study on meaningful and verified thresholds for minimizing the consequences of human-robot collisions. In: 2014 IEEE International Conference on Robotics & Automation (ICRA), S. 3378–3383. DOI: 10.1109/ICRA.2014.6907345.