Serviceroboter für Kanalinspektion und -reinigung im Abwasserkanal Emscher (Projekt)

Die Renaturierung der Flusslandschaft Emscher im Ruhrgebiet ist eines der größten Infrastrukturprojekte Europas. Hier ist das modernste Abwassersystem der Welt entstanden. Kernstück ist der Abwasserkanal Emscher: Er verläuft auf einer Länge von 51 Kilometern zwischen Dortmund und Dinslaken und wird die Abwässer von rund 2,26 Millionen Einwohnern sowie Industrie und Gewerbe aufnehmen.

Mit allen angeschlossenen Nebenläufen zählt das Einzugsgebiet des Abwasserkanals Emscher 865 Quadratkilometer. Der zentrale Hauptsammler des Kanalnetzes hat einen Durchmesser von 1,6 bis 2,8 Metern, eine Tiefenlage von 8 bis 40 Metern.

Gemeinsam mit der Emschergenossenschaft hat das Robotik-Team des Fraunhofer IFF eine Systemlösung aus drei Robotern für die Kanalinspektion und -wartung entwickelt. Mit ihnen kann der Abwasserkanal im laufenden Betrieb inspiziert werden – ohne dass ein Mensch ihn betreten muss und ohne dass der Kanal wie sonst üblich außer Betrieb genommen werden muss.

Servicerobotik vom Projektstart an mitgedacht

Die Zusammenarbeit von Emschergenossenschaft und Fraunhofer IFF begann bereits vor Baubeginn des Abwasserkanals. Die gemeinsame Fragestellung: Können Betonkanäle dieser Art automatisch und im laufenden Betrieb inspiziert und gereinigt werden, so dass auf ein redundantes, zweizügiges Rohrsystem verzichtet werden kann?

Wir entwickelten prototypische Inspektions- und Reinigungsroboter und erbrachten 2008 den praktischen Nachweis der Machbarkeit gegenüber den zuständigen Bezirksregierungen. Die Freigabe für den Bau des Abwasserkanals wurde erteilt. Durch unsere automatischen Robotersysteme konnten Schachtabstände noch in der Planungsphase auf maximal 1200 Meter vergrößert werden. Zahlreiche Schachtbauwerke der Trasse konnten entfallen, was Einsparungen in dreistelliger Millionenhöhe brachte.

Die fertig entwickelten Serviceroboter für Inspektion und Reinigung stehen zur Inbetriebnahme des Abwasserkanals Emscher seit 2022 zur Verfügung. Das Inspektions- und Reinigungskonzept sieht für den regulären Betrieb zwei Robotersysteme einschließlich innovativer Transport- und Versorgungsinfrastruktur vor: ein kompaktes, schwimmendes Robotersystem für die Schadenserkennung und Vorinspektion sowie einen komplexen, radgeführten Inspektions- und Reinigungsroboter für die Kanalreinigung und Detailinspektion. Ein dritter Serviceroboter wurde für die Erstinspektion der Rohrleitungen vor Inbetriebnahme entwickelt.

Die automatische Kanalinspektion mit unseren Servicerobotern bietet:

  • Systemlösung erkennt zuverlässig Zustandsgrößen wie Korrosion, mechanischen Verschleiß, Abflusshindernisse, Ablagerungen, Lageabweichungen, Risse und Undichtigkeiten
  • Vollständige dreidimensionale Rekonstruktion des Kanals mit innovativen und hochgenauen Vermessungsmöglichkeiten in den Inspektionsdaten
  • Inspektion von freien Kanalgeometrieformen, z.B. Kasten-, Ei- und Maulprofilen
  • Optimales Schwimm- bzw. Navigationsverhalten des Systems, einfache Hindernisüberwindung und Bergungsmöglichkeit über das angeschlossene Medienkabel
  • Gute Ein- und Ausbringmöglichkeiten durch kompakte Außenabmessungen der Konstruktion in Schachtöffnungen ab DN800
  • Inspektion von Tübbing-Kanalbauweisen (Erfassung sowohl radialer, als auch längs verlaufender Fugen)
  • Maximale Inspektionslänge bis zu 1200 Meter

Schwimmender Kanalroboter für Schadenerkennung und Vorinspektion

Die Inspektion von großen, teilgefüllten Kanälen ist eine besondere Herausforderung für Kanalbetreiber. Das Schadenerkennungssystem, welches wir im Auftrag der Emschergenossenschaft entwickelt haben, bietet weltweit erstmalig die Möglichkeit der Schadensdetektion mit sehr hoher Genauigkeit auch in teilgefüllten Kanälen und im laufenden Betrieb.

Der entwickelte Kanalroboter schwimmt und hält selbständig – auch bei Krümmungen – einen mittigen Kurs im Kanal. Für eine zuverlässige Inspektion und Zustandserfassung sowie zur Erfüllung der Betreiberverpflichtungen ist das Schadenerkennungssystem mit verschiedenen Sensorsystemen ausgestattet, mit denen es Schäden während der Inspektion weitestgehend automatisiert erkennt. Während der Inspektionstour durch den Kanal erstellt das Schadenerkennungssystem zusätzlich eine vollständige dreidimensionale Rekonstruktion des Kanals. Das Bedienpersonal kann die Rekonstruktion virtuell befahren und in den aufgenommenen Inspektionsdaten Schäden detailliert vermessen. Die maximal mit dem Schadenerkennungssystem inspizierbare Haltungslänge beträgt 1200 Meter bei einem Mindestfüllgrad von ca. 450 Millimeter.

Sensorausstattung des Kanalroboters zur Schadenserkennung:

  • Bestimmung der Kanalgeometrie für die Systemnavigation mit Laserscannern
  • Risserkennung, Detektion von Korrosion und Undichtigkeiten im Gasraum sowie Bestimmung von Fugenbreiten durch ein Mehrkamerasystem mit 11 Kameras und Kreuzlinienlasern (Genauigkeit +/-13 mm)
  • Detektion von mechanischem Verschleiß, Ablagerungen und Abflusshindernissen im Wasserraum mittels Ultraschallscanner
  • Videokameras zur Detektion von infiltrierendem Wasser im Gasraum

Unsere neu entwickelte Datenverarbeitung und Datenfusion ermöglicht die optimale Visualisierung der Sensordaten und Schadensbilder sowie den Abgleich aktueller Sensordaten mit vorangegangenen Messungen. Hierzu werden sämtliche Sensordaten der jeweiligen Aufnahmeposition im Kanal exakt zugeordnet und abgerufen.

Durch den Einsatz des automatischen Schadenerkennungssystems ist der Kanalbetreiber in der Lage, alle relevanten Schäden frühzeitig zu erkennen und entsprechenden Maßnahmen einzuleiten.

Das Schadenerkennungssystem ist als teilmodulares System aus hochintegrierten Baugruppen aufgebaut. Basis ist ein standardisiertes Schnittstellenkonzept, das weitestgehend austauschbare Baugruppen ermöglicht, um den Einsatz über einen sehr langen Zeitraum sicherzustellen. Bei der Software haben wir konsequent auf die Nutzung von langlebigen Datenformaten für Bilder und Videos geachtet. Wir entwickelten darüber hinaus eine spezielle und flexible Versorgungsinfrastruktur, die einen sicheren Systembetrieb im Abwasserkanal Emscher gewährleistet und auch die Inspektion von Abwasserkanälen anderer Kanalnetzbetreiber ermöglicht.

Datenschutz und Datenverarbeitung

Wir setzen zum Einbinden von Videos den Anbieter YouTube ein. Wie die meisten Websites verwendet YouTube Cookies, um Informationen über die Besucher ihrer Internetseite zu sammeln. Wenn Sie das Video starten, könnte dies Datenverarbeitungsvorgänge auslösen. Darauf haben wir keinen Einfluss. Weitere Informationen über Datenschutz bei YouTube finden Sie in deren Datenschutzerklärung unter: https://policies.google.com/privacy

Bildverarbeitung bei der Inspektion mit Servicerobotern. Beispiele aus der Kanalinspektion umfassen VR-Visualisierung mit Bedienung und Navigation in großen Datenmengen, automatische Risserkennung, automatische Fugenerkennung und -vermessung, sowie visuelles Tracking zur Positionsbestimmung.

Radgeführtes Inspektions- und Reinigungssystem für die Kanalreinigung und Detailinspektion

Unser Inspektions- und Reinigungssystem basiert auf einer vierrädrigen Bewegungsplattform mit Allradantrieb, die eine automatische Positionierung von Werkzeugen in kreisrunden Kanälen und sichere Hindernisüberwindung gewährleistet.

Im Reinigungsbetrieb entfernt der Serviceroboter zunächst Ablagerungen im Wasserraum und Verschmutzungen der Kanalwand im Gasraum mit geeigneten Düsenwerkzeugen. Das gewährleistet nicht nur den störungsfreien Kanalbetrieb, sondern schafft auch die Voraussetzung für eine hochgenaue Kanalinspektion. Das Bedienpersonal kann alle Prozessparameter bezüglich des Reinigungseffekts und der Reinigungszeiten stufenlos regeln, so dass der Reinigungsvorgang bedarfsgerecht und ressourcenschonend erfolgt.

Im Inspektionsbetrieb erkennt und vermisst der Serviceroboter Schäden im Kanal – zuverlässig sowohl über als auch unterhalb der Wasserlinie. Das Robotiksystem erstellt während der Messfahrt eine vollständige 3D-Rekonstruktion des Kanals, in welcher das Bedienpersonal anschließend jederzeit virtuell navigieren und inspizieren kann. Zur Unterstützung können verschiedene Schadensbilder automatisch erfasst und dokumentiert werden.

Eine neuentwickelte, vollautomatisierte Kinematik mit integrierter Medienversorgung und Sicherheitstechnik dient als universeller Träger für zahlreiche Vermessungssensoren sowie Reinigungstechnologien. Das Inspektions- und Reinigungssystem bietet für jede Einsatzumgebung das richtige Werkzeug.

Inspektions- und Reinigungsausstattung des Reinigungsroboters:

  • Mehrkamerasystem mit 16 kreisförmig angeordneten Industriekameras und der gleichen Anzahl an Kreuzlinienlaser zur Erkennung und Vermessung von Rissen, Lage- und Fugenversätzen, Infiltrationen im Gasraum (Genauigkeit +/- 2 mm)
  • 3D-Ultraschallscanner unter Wasser zur Erkennung von Hindernissen, Ablagerungen oder mechanischem Verschleiß der Kanalwand
  • Motorisch verstellbarer Kombinationssensor zur optischen Unterwasserrisserkennung und für die Detektion von Infiltrationen unter Wasser auf Basis eines patentierten Temperaturdifferenzmessverfahrens
  • schwenkbare Videokamera mit Zoomfunktion sowie Kameras mit aktiver LED-Beleuchtung zur Prozessüberwachung
  • Düsenbalken mit verschiedenen Flächenreinigungsdüsen zur Wasserhochdruckreinigung des Gasraums
  • Ejektordüse unter Wasser zur Erhöhung der Schubspannungen im Abwasserkanal und zur Beschleunigung des gesamten Abwasserstroms

Automatisierte Erstinspektion von Kanälen und Rohrleitungen

Damit ein Netzbetreiber einen neu errichteten Abwasserkanal sicher in Betrieb nehmen und die strengen Betreiberverpflichtungen erfüllen kann, ist eine Erstdaten bzw. Null-Aufnahme vor der Befüllung mit Abwasser nötig. Bei dieser Ersterfassung wird der Kanalzustand aufgezeichnet und für Vergleiche mit späteren Regelinspektionen dokumentiert.

Für die Emschergenossenschaft haben wir einen selbstfahrenden, batteriebetriebenen Roboter entwickelt, der aktuell in trockengelegten Großraumprofilen von DN1600 bis DN2800 einsetzbar ist.

Dieses Erstinspektionssystem verfügt über ein Multisensor-Mehrkamerasystem, welches über den gesamten Kanalumfang mit Kameras und Lichtschnittsensoren bestückt ist. Innerhalb kürzester Zeit hat dieser Inspektionsroboter 61 Kilometer Kanaltrasse inspiziert, 29 Millionen Bilder und 18 Terrabyte an Datensätzen erfolgreich aufgenommen.

Das Erstinspektionssystem zeichnet sich durch einfache Handhabung ohne Versorgungskabel und eine hohe Inspektionsgeschwindigkeit von bis zu 500 Meter pro Stunde aus. Für den Einsatz in weiteren Kanälen kann es leicht adaptiert werden. Mit den aufgenommenen Daten wird eine vollständige dreidimensionale Kanalrekonstruktion erzeugt – also ein virtuelles Modell des Kanals –, in dem das Bedienpersonal frei navigieren und Messungen vornehmen kann. Damit eignet sich das Erstinspektionssystem u.a. für die Dokumentation im Rahmen einer Bauabnahme und zur langfristigen Zustandsdokumentation.